Aus dem Buch „Afrikanisches Fieber“ von Ryszard Kapuscinski –– über die Zeit

октомври 23, 2011

“ Europäer und Afrikaner haben völlig unterschiedliche Zeitbegriffe, sie nehmen die Zeit anders wahr, haben eine andere Einstellung ihr gegenüber. In der Überzeugung des Europäers existiert die Zeit ausserhalb des Menschen, objektiv, gleichsam ausserhalb unserer selbst, und besitzt eine messbare, lineare Qualität. Nach Newton ist die Zeit absolut: „Die absolute, wirkliche und mathematische Zeit fliesst in sich und in ihrer Natur gleichförmig, ohne Beziehung zu irgend etwas ausserhalb ihrer Liegenden…“ Der Europäer sieht sich als Diener der Zeit, er ist von ihr abhängig, ihr untertan. Um existieren und funktionieren zu können, muss er ihre ehernen, unverrückbaren Gesetze, ihre starren Prinzipien und Regeln achten. Er muss Termine einhalten, Daten, Tage und Stunden. Er bewegt sich innerhalb des Getriebes der Zeit, kann ausserhalb dieses Getriebes nicht existieren. Dieses Getriebe drückt ihm seine Zwänge, Anforderungen und Normen auf. Zwischen den Menschen und der Zeit besteht ein unlösbarer Konflikt, der immer mit der Niederlage des Menschen endet – die Zeit zerstört ihn.

Ganz anders sehen die eingeborenen, die Afrikaner die Zeit. Für sie ist die Zeit eine ziemlich lockere ,elastische, subjektive Kategorie. Der Mensch hat Einfluss auf die Gestaltung der Zeit, auf ihren Ablauf und Rhythmus (natürlich nur der Mensch ,der im Einvernehmen mit dem Vorfahren und Göttern handelt). Die Zeit ist so etwas, was der Mensch selbst schaffen kann, weil die Existenz der Zeit zum Beispiel in Ereignissen zum Ausdruck kommt, ob es aber zu diesem Ereignis kommt oder nicht, hängt schliesslich vom Menschen ab. Wenn zwei Armeen auf eine Schlacht verzichten, dann hat diese Schlacht nicht stattgefunden (das heisst die Zeit hat ihre Existenz nicht unter Beweis gestellt, existiert nicht).

Die Zeit macht sich als Folge unseres Handelns bemerkbar, und sie verschwindet, wenn wir etwas unterlassen oder überhaupt nichts tun. Sie ist einer Materie, die unter unserem Einfluss immer zum Leben erweckt werden kann, jedoch in einen Zustand des Tiefschlafs oder sogar der Nicht-Existenz versinkt, wenn wir ihr unsere Energie versagen. Die Zeit ist eine passive Kategorie und vor allem vom Menschen abhängig.

Eine völlige Umkehrung des europäische Denkens.“

Ryszard Kapuscinski

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